Der wissenschaftspolitische Fraktionssprecher Dr. Bernd Grimmer MdL hat jüngsten Vorschlägen zur Abschaffung des Doktortitels eine strikte Absage erteilt. „Durch die Promotion wird der Nachweis sichergestellt, dass ein Mensch wissenschaftlich selbständig und exakt arbeiten und argumentieren, seinen eigenen Beitrag klar darstellen und abgrenzen kann. Daneben zeugt er von Durchhaltevermögen und einem hohen Frustrationslevel. Wer wie Steffen Huck in der Zeit diesen Titel zugunsten eines Peer-Review-Publikationsprozesses abschaffen will, weil er ‚bloß die Macht von Betreuern, Bürokraten und Erbsenzählern‘ sichere, verkennt mindestens dreierlei. Zum ersten wird damit nicht die Abhängigkeit junger Wissenschaftler von ihren Betreuern vergrößert, sondern trägt die Promotion im Gegenteil zur wissenschaftlichen Emanzipation der Promovenden bei. Eine Dissertation ist doch mehr als nur eine Anhäufung von ein paar Aufsätzen, weil die geistige Architektur, die man dafür errichten muss, viel komplexer und größer ist.“
Zum zweiten ist die auf Giffey & Co. gemünzte Begründung, dass der Welt „Skandale wie dieser Tage endlich erspart“ blieben, ebenso kurzsichtig wie nivellierend, empört sich Grimmer. „Wir haben schon das Geschlecht abgeschafft, jetzt wollen wir den Doktortitel abschaffen? Wozu eine Goldmedaille, wenn dabei sein alles ist. Diese Begründung wäre eher eine Kapitulation vor den Scharlatanen. Das Problem ist nicht der Doktortitel, sondern wie leicht bzw. mit wie wenig Aufwand er teilweise erworben werden kann. Und zum dritten schließlich ist die Peer-Review-Praxis in den letzten Jahren zunehmender Kritik ausgesetzt. Einerseits gibt es auch bei den Peer-Reviewed Journals Zitier- und Gefälligkeitskartelle und auch den Editor und Forscher in Personalunion. Der niederländische Wissenschaftsverlag Elsevier hat 2019 in seinen Journalen in 433 Fällen wissenschaftliches Fehlverhalten von hunderten Peer-Reviewern gefunden. Andererseits haben jüngst Autoren zwei große Studien zu COVID-19 zurückgezogen, obwohl sie nach Peer Reviews in hochrangigen Journals veröffentlicht worden waren. Zudem geht dank Preprint-Servern wie bioRxiv und medRxiv die Veröffentlichung eventuell bahnbrechender Studienergebnisse viel schneller. Mehr als 3300 Studien zu Corona sind bisher auf bioRxiv veröffentlicht worden; die meisten politischen Entscheidungen in Zusammenhang mit dem Umgang mit SARS-CoV-2 stützen sich in erster Linie darauf. Publikationsdruck führt da nur zu Fehlanreizen.“
Wenn man wissenschaftlich Unbrauchbares abschaffen will, müsste man zuerst den Bachelorgrad diskutieren, ist sich Grimmer sicher. „Denn er führt üblicherweise nicht zu Publikationen und lähmt das System mit massenhaften Modulprüfungen – oft genug für Studenten, die sich weder für Forschung interessieren noch irgendein Talent dafür haben. Wer promoviert, weist auch nach, sich unbekannte Inhalte strukturiert anzueignen, zu kontextualisieren, damit sich und sein Denken auf ein höheres Niveau zu heben. Auf diesem Potential beruhte gerade in den Naturwissenschaften die Stärke unseres Landes. Man geht doch auch nicht aufs Gymnasium, um dann kein Abitur zu machen. Eine solche Selbstbeschneidung kann nicht im Sinne unseres nationalen Wohlergehens sein.“