Stuttgart. Bereits im Januar 2017 waren mehrere Abgeordnete der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg mit dem Antrag 16/1210 tätig geworden, als die Frage der Haftentschädigung des am 15. Dezember 2010 letztgültig vom Vorwurf der versuchten Tötung seiner Ehefrau freigesprochenen Herrn W. aus Birkenfeld an die Öffentlichkeit drang. Im November 2019 erfuhren die Abgeordneten Dr. Grimmer und Emil Sänze, dass bereits 2005 das Landgericht das BKA mit einer Fallanalyse beauftragt hatte, was man im TV als „Profiling“ kennt. Diese Fallanalyse machte sehr spezifische Aussagen, welche die Frage nahelegten, ob nach dem Freispruch des seinerzeitigen Hauptverdächtigen gegen zwei weitere Verdächtige ermittelt wurde. Pikant war, dass beide Polizisten waren. Jetzt liegt die Antwort des Justizministeriums zu dem Antrag 16/7506 der Abgeordneten Sänze, Dr. Podeswa, Dr. Grimmer, Klos, Wolle und Dr. Baum vor. Der Antrag war am 24. März 2020 samt der Antwort der Landesregierung im elektronischen Archiv des Landtags veröffentlicht worden.
Himmelschreiende Unprofessionalität – zum Schaden des Angeklagten.
Die Antwort lehre vor allem zweierlei, so der Pressepolitische Sprecher und Stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion, Emil Sänze. „Erstens: Es scheint in Teilen von Justiz und Polizei offenbar an Demut vor der eigenen Fehlbarkeit zu fehlen. Es kann nicht sein, dass gerade bei einer schwerwiegenden Anklage, die den fälschlich Beschuldigten Jahre seiner Freiheit gekostet hat und deren letztgültige Ausräumung ihn sein Vermögen plus Schulden gekostet hat, bei Verfahren offenbar vor allem auf ‚Revisionsfestigkeit‘ abgestellt wird und danach im Glauben, ein rechtskräftiges Urteil sei unfehlbar, Asservaten schlicht verschwinden, womöglich ohne Protokoll vernichtet werden, ohne dass nachher einer der Verantwortlichen noch eine Erinnerung daran hat. Niemand wurde für dienstliche Versäumnisse und Fehlleistungen zur Rechenschaft gezogen. Genau dies legt die desaströse Antwort der Landesregierung nahe“, so der Abgeordnete. Er ergänzt: „Zweitens: Wir fragten hier nach Professionalität und nach der Nähe der Ermittler zu dem Polizisten-Milieu, in dem ermittelt wurde. Minister Wolf hat uns mehrere ausweichende Antworten gegeben. Selbst die sind haarsträubend und blamabel genug. Wohin die am Tatort gefundenen Drogen verschwunden sind – kann keiner sagen. Nach angefragten Polizei-Asservaten wurde (Zitat) ‚intensiv, aber erfolglos gesucht.‘ Keiner kann uns heute sagen, ob man oder ob man nicht z.B. den Weg eines Verdächtigen unter Beachtung der Verkehrsregeln rekonstruierte, den des Hauptverdächtigen aber nicht – die ‚Intensität von Ermittlungen richte sich (…) nach dem Grad des Tatverdachts‘. Und, so erzählt uns Herr Wolf. So könne den Ermittlungsakten auch nicht entnommen werden, ob ermittelnde Beamte mit einem der Verdächtigen befreundet waren – welcher Ermittler würde das auch hineinschreiben?“ Einer nahen Verwandten des Opfers sagte niemand, sie dürfe den Tatort in einer Pause der Spurensicherer nicht betreten. Sänze: „Sie hat das immer noch in der Wohnung befindliche Kind getröstet, Gläser gespült, den Mülleimer geleert. Mehr Pannen sind kaum möglich. Dienstliche Konsequenzen gab es bis heute in keinem Fall – nur für den Angeklagten Knast.“
EU-Propaganda ist dem Minister wichtiger als moralische Gerechtigkeit.
„Der Fall war für die seinerzeitige Pforzheimer Kripo und die Justiz ein nicht zuletzt sittliches Desaster“, so Sänzes Fazit. „Die Widerstände gegen eine Verfahrensrevision überraschen mich leider nicht ganz. Wir hätten bei so viel Dilettantismus mit seinen tragischen Folgen für Herrn W. gerne eine offizielle Entschuldigung an Herrn W. gehört. Der Justizminister jedoch wörtlich: ‚Im gewaltengeteilten Rechtsstaat kann es – ungeachtet einer persönlichen Anteilnahme für das Schicksal des H.W. – eine moralisch begründete Verantwortlichkeit der Landesregierung als Exekutivgewalt für Entscheidungen der rechtsprechenden Gewalt nicht geben.‘ Der Ministerpräsident entschuldigte sich medienwirksam bei einem verletzten S 21-Demonstranten für die Wasserwerfer. Der Europa- und Justizminister fühlt sich hingegen moralisch nicht für ein hartnäckig verfolgtes Opfer der Justiz verantwortlich, die er beaufsichtigt. Als Leiter des EU-Ressorts hat er es vor der Europawahl nie an Propagandaengagement fehlen lassen, doch bitte keine bösen Populisten zu wählen. Da versteckte er sich nicht hinter der Gewaltenteilung und fühlte sich wohl in der Pflicht – aber nicht für eine simple Geste an einen Bürger, dessen Leben die Justiz ruiniert hat und den man im Gefängnis geradezu lebendig beerdigt hätte.“